Große Anfrage "Soziale Existenzsicherung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz" beantwortet
Die Bundesregierung hat am 30. April 2008 eine große Anfrage der Fraktion Die Linke im Bundestag "Soziale Existenzsicherung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz" beantwortet (BT-Drucksache 16/9018). Die Antwort enthält eine Fülle von Fakten u.a. zur Zahl der Leistungsempfänger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, wobei bei der Aufschlüsselung nach Ländern auffällt, dass die Zahl der Leistungsempfänger pro tausend Einwohner recht unterschiedlich ist und von 1,0 pro tausend in Bayern bis zu 5,7 pro tausend bzw. 6,2 pro tausend in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen reicht. In geradezu unverfrorener Weise wird die Tatsache, dass die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht erhöht worden sind. Zur Höhe der Beträge wird auf die Beantwortung einer Kleinen Anfrage aus dem Jahr 2000 hingewiesen, in der die Bundesregierung festgestellt hatte, dass angeblich kein Erfordernis zur Anpassung der Beträge bestanden habe. Anfang 2002 war ein Verordnungsentwurf, der eine geringe, völlig unzureichende Erhöhung vorsah, im Bundesrat gescheitert. Es bestehe derzeit nicht die Absicht, eine neue Verordnung vorzulegen. Die Bestimmung der Höhe der Grundleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sei 1993 auf der Grundlage von Kostenschätzungen erfolgt, wobei deren Methodik nicht dargestellt wird. Da inzwischen im SGB XII die früheren einmaligen Leistungen nach dem BSHG integriert seien und sich im Asylbewerberleistungsgesetz demgegenüber der Umfang der Gewährung sonstiger Leistungen nicht geändert habe, sei ein direkter Vergleich nicht aussagekräftig. Vollends deutlich wird die Rosstäuscherei der Bundesregierung da, wo die Notwendigkeit einer Erhöhung vor dem Hintergrund des Anstiegs der Verbraucherpreise um 21,9 Prozent in den Jahren 1994 bis 2007 damit wegerklärt wird, dass in dieser Preisentwicklung auch Gütergruppen enthalten sind, die für die Bedarfsbemessung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht relevant sind oder für die angeblich der Bedarf in Höhe der tatsächlichen Kosten (z. B. durch Sachleistungen) gedeckt wird. Dass Asylsuchende und andere Migrantengruppen, die Asylbewerberleistungen bekommen, in der Regel weder Benzin noch Heizöl brauchen, könnte allenfalls dazu dienen, einen geringen Prozentsatz der Verbraucherpreissteigerungen als für die Betroffenen unerheblich zu erklären. Interessant sind die überwiegend rudimentären Angaben der Bundesregierung zur Praxis der Länder, zum Beispiel zum Anteil der jeweils in Sach- bzw. in Geldleistungsform gewährten Grundleistungen sowie zur Unterbringungsform in den einzelnen Ländern.
Verwirrung stiften die Länder mit ihren von der Bundesregierung referierten Angaben auf die Frage, welche Mechanismen sicherstellen, dass von gemeinnützigen oder kommerziellen Anbietern erbrachte Leistungen in Massenunterkünften ihren Geldwert nach den Regelsätzen des Asylbewerberleistungsgesetzes entsprechen? Brandenburg behauptet hier, es lägen keine Erkenntnisse über Benachteiligungen von Leistungsberechtigten vor. Hessen behauptet, dass die Qualität der Gemeinschaftsunterkünfte zwar nur bis zum Jahr 2000 durch Verordnung geregelt war, die darin festgelegten Mindeststandards aber auch weiterhin als Richtwerte für den Betrieb bestehender Unterkünfte gelten. Das Saarland behauptet, es gebe keine Vergleichsmöglichkeit und die Frage nach den durch die Sachleistungen repräsentierten Geldwerten sei sinnlos, weil so kein Rückschluss auf die Qualität der gelieferten Lebensmittel möglich sei. Deren Preisgestaltung sei "Ergebnis marktwirtschaftlicher Prozesse". Niedersachsen stellt fest, es sei Aufgabe der Kommunalbehörden sicherzustellen, dass die Leistungen dem Geldwert entsprechen, sieht dies also ganz anders als das Saarland. Die zentrale Aufnahmebehörde Niedersachsens überprüfe die Einhaltung ihrer Rahmenverträge regelmäßig während der Essensausgabe.
Mehrfach in der Anfragebeantwortung wiederholt die Bundesregierung die Behauptung, das Asylbewerberleistungsgesetz stelle auf die Bedürfnisse eines in aller Regel kurzen und nur vorübergehenden Aufenthalts ab und es bedürfe deshalb keiner integrativen Leistungen. Die zynischste Formulierung hierfür wird eingeleitet mit der Formel: "Das Asylbewerberleistungsgesetz vereinfacht das Leistungsrecht der Sozialhilfe..." An der Abschreckungsdoktrin des Gesetzes wird festgehalten: "Der vom AsylbLG verfolgte Zweck, den Missbrauch des Asylverfahrens einzuschränken, rechtfertigt es, Asylbewerbern ohne Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz die erforderliche Hilfe zum Lebensunterhalt in der Form von Sachleistungen zu gewähren.
Die Flüchtlingsinitiativen gut bekannten Probleme bei der Kostenübernahme für medizinische Behandlungen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes, insbesondere auch bei der Frage der Kostenübernahme für die Behandlung traumatisierter Flüchtlinge werden vom Tisch gewischt: "Nach Auskünften aus den Ländern sind derartige Probleme grundsätzlich nicht bekannt. Soweit im Einzelfall Probleme auftreten, dürften diese nach Ansicht der Bundesregierung somit nicht zu verallgemeinern sein; ein Handlungsbedarf besteht nicht." Dünnes Eis beschreitet die Bundesregierung mit ihrer Behauptung, die EU-Aufnahmerichtlinie schreibe den Mitgliedsstaaten kein Identifizierungsverfahren zur Ermittlung besonders hilfsbedürftiger Personen vor. Richtig ist, dass hier keine Methodik vorgeschrieben wird: Von der Logik der Richtlinie her erfordert aber die Identifikation der mit bestimmten Rechten ausgestatteten besonders Hilfebedürftigen ein Verfahren, mit dem festgestellt werden kann, ob sie zu dieser Kategorie gehören. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage offenbart deren Willen, ohne jedes Quentchen Selbstkritik an der Praxis der Diskriminierung, Minderversorgung und Lagerunterbringung zur Abschreckungszwecken festzuhalten.
http://www.proasyl.de/de/archiv/newsletter-ausgaben/nl-2006/newsletter-nr-136/index.html#c4924 Proasyl-Newsletter Nr. 136 Juni 2008
|